Die Grünen setzen im Wahlkampf-Endspurt angesichts anhaltend schwacher Umfragewerte auf eine stärkere Abgrenzung zur Konkurrenz. Zusammen mit dem Spitzenduo Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir wirbt Kretschmann in einem am Samstag bekannt geworden Klimaschutz-Appell für eine Regierungsbeteiligung der Grünen und warnt vor der FDP, einem möglichen schwarz-gelben Bündnis sowie vor einer Neuauflage der großen Koalition von Union und SPD.
Diesel-Skandal: Problem nur langfristig lösbar
Im Tollhaus in Karlsruhe äußerte sich Kretschmann am Freitagabend zu weiteren Wahlkampfthemen - unter anderem zum Diesel-Skandal, wachsenden Populismus, Flüchtlingspolitik und Mobilitätsthemen. Das Publikum bekam einen offenen und pragmatischen Ministerpräsidenten zu hören.
So räumte der Landeschef schwere Fehler bei der Überschreitung von Dieselgrenzwerten ein, die man korrigieren müsse - aber: "schwerer Fehler heißt schwerer Fehler, weil er schwer zu korrigieren ist." Man werde das Problem lösen und die Schlupflöcher für die Automobilindustrie schließen, aber das werde nicht von heute auf morgen möglich sein, so Kretschmann.
Was kann dem wachsenden Populismus entgegengesetzt werden, der die Spaltung der Gesellschaft weiter vorantreiben will? Sich der diffusen Terrorismusbedrohung stellen, lautet der Ansatz von Kretschmann - diese sieht der grüne Landeschef als "ernst zunehmende Bedrohung." Kretschmann: "Die fundamentale Bedrohung der Gesellschaft erzeugt Angst und genau das ist ja auch das Ziel der Terroristen." Der Staat müsse daher alles tun, um die Bevölkerung zu schützen: Von Anti-Terror-Paketen bis zu mehr Polizei.
Kretschmann: Politik soll nicht moralisieren
Den Flüchtlingsdeal mit der Türkei betrachtet Kretschmann als "schwierig", derartige Flüchtlingsabkommen seien aber mangels Alternative notwendig. "Ich sehe vorerst keine vernünftige Alternative dazu." Über einen Abbruch von Beitrittsverhandlungen könne Deutschland weiterhin nicht entscheiden - "diese Frage können wir nicht alleine klären", sagt Kretschmann und verweist auf die notwendige, mehrheitliche Zustimmung in der Europäischen Union. Es sei notwendig, dass man auf EU-Ebene in der Flüchtlingspolitik eine einheitliche politische Linie ausarbeite.
Moral in der Politik lehnt Kretschmann ab, auch das wird am Freitagabend im Tollhaus deutlich: "Wir haben ein Grundgesetz, das ist eine ganz großartige Errungenschaft der Nachkriegsgeschichte. Grundlegende moralische Fragen sind durch das Grundgesetz geklärt."
Man brauche in der Politik keine Moral, sondern Lösungen. Dies wird vor allem bei der Flüchtlingspolitik deutlich: Hier stecke man in einem moralischen Dilemma, so Kretschmann. "Wir haben ein Asylrecht, das verteidigen wir und nehmen wir ernst. [...] Die, die nicht verfolgt werden, schicken wir zurück. Aber die Leute, die wir zurückschicken, kommen aus nachvollziehbaren Gründen."
"Tempolimit kommt wahrscheinlich nie"
"Wir brauchen ein Einwanderungsrecht - das ist eine sehr pragmatische Angelegenheit", fordert der Grünen-Politiker. Man müsse Fluchtursachen betrachten, angehen und die Probleme lösen. Konkret bedeute dies, beispielsweise in Afrika die wirtschaftliche Entwicklung zu fördern, so Kretschmann und verweist als positives Vorbild auf die amerikanische Wirtschaftshilfe in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. "Problem- und lösungsorientiertes Arbeiten bringt uns voran, keine gegenseitigen moralischen Vorhaltungen. Dafür ist die Politik nicht da."
Das Karlsruher Publikum interessierte vorwiegend Mobilitätsthemen - schlechte Öko-Bilanzen von Elektromobilität räumte Kretschmann ein - daran müsse man arbeiten. Weiterhin kam die Frage auf, ob Kretschmann im Dienst auch Fahrrad statt Auto fahre: "Nein, das geht aus Sicherheitsgründen nicht."
Zu einer weiteren Mobilitätsfrage gab es ebenfalls eine klare Antwort. Wann denn das Tempolimit komme? "Wahrscheinlich nie. Seit ich mich erinnern kann, kämpfen wir dafür. Und wir haben nie einen gefunden, der das auch will - außer uns. Etwas sarkastisch gesagt: Was dem Ami die Waffe, ist dem Deutschen das Rasen." Dafür kämpfe er nicht mehr, so Kretschmann, das Thema überlasse er den jungen Grünen.
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