Ihr seid mit euren Motorrädern auf drei Kontinenten unterwegs: Wie fing das Abenteuer eigentlich an?

Angefangenen hat es damit, dass ich mit 17 meinen ersten Motorradführerschein gemacht habe, einen 125 Kubik-Führerschein. Ich hatte damals einen Kumpel, der mit 18 einen Quad-Führerschein hatte und dann ging das so los.

Wir haben erst kleinere Wochenendtouren gemacht und dann ging es relativ schnell auf große Tour. Es war einfach dieses jung und wild, Abenteuerzeiten. Es war noch alles relativ unorganisiert, mehr oder weniger einfach aufs Motorrad setzen und losfahren.

Matias Raasch auf seinem Motorrad in den Westalpen in Frankreich. | Bild: Matias Raasch

Und dann hat sich mehr daraus entwickelt?

Genau. Mit 19 hab ich dann den großen Motorradführerschein gemacht. Dann fährt man natürlich auch ein bisschen schneller und nicht mehr nur mit 80 (lacht). Da konnten wir uns dann auch etwas weitere Ziele setzten.

Ab dem Zeitpunkt wollte ich dann so viele Länder wie möglich bereisen. Da wir immer von Karlsruhe losfahren und dann zwei bis drei Wochen Zeit haben, ist das teilweise schon ein bisschen sportlich.

Ihr zwei macht das immer noch?

Nein, das rotiert ein bisschen. Wir sind alle mittlerweile in einem Alter, in dem man auch Kinder bekommt, Jobwechsel anstehen, solchen Geschichten eben. Ich bin immer dabei, weil es meine Leidenschaft ist und dann schaue ich immer im Freundeskreis wer Zeit und Lust hat, mich zu begleiten.

So ein halbes bis dreiviertel Jahr vorher fange ich an zu planen, frage, wer Lust hat mitzufahren. Die Leute, die dann mitfahren, unterstützen mich auch bei der SOS-Kinderdorf-Geschichte.

Wie kam es dazu, Spenden für SOS-Kinderdörfer zu sammeln?

Das hat noch in dieser ersten Zeit mit 18 angefangen. Da haben wir das erste Mal Rumänien besucht. Wir sind eingereist an der Grenze zu Rumänien, ich als vorneweg, mein Mitfahrer als hinterher. Ich musste hinter der Grenze noch ein bisschen warten, weil es bei ihm mit dem Quad etwas länger gedauert hat.

 

Wie ich so auf meinem Bike saß und mich nach ihm umgeschaut habe, habe ich im Augenwinkel ein kleines Kind gesehen, dass an meinem Motorrad rumgefummelt hat - es wollte mein Navi klauen. Ich habe noch versucht dem Kind irgendwie zu vermitteln, dass ich das Teil gerne behalten möchte. Dann wollte es Geld haben, hat immer wieder "Euro, Euro" gesagt.

Im ersten Moment war ich da echt sauer. Erst wollte es mich beklauen und hat mich dann noch um Geld angebettelt. Aber am Abend, als wir unser Nachtlager aufgeschlagen hatten, habe ich dann ein bisschen reflektiert und dann war ich nicht mehr sauer, da hat mich das eher mitgenommen. Ich war das erste mal in so einem armen Land.

Matias Raasch mit seinem Motorrad | Bild: Matias Raasch

Zurück in Karlsruhe haben wir uns überlegt, wenn wir schon so arme Länder besuchen, könnten wir ja versuchen, den Leuten dort ein bisschen was zurück zu geben. Wir sind relativ schnell auf das SOS-Kinderdorf gekommen, weil wir gesagt haben, wenn wir helfen wollen, dann den Kindern. Die können für die Lage, in der sie sind ja am wenigsten.

Und wie ging es dann weiter?

In den Dörfern leben bis zu 40 kleine Kinder, da wollten wir nicht mit leeren Händen ankommen. Wir haben angefangen, Spenden zu sammeln und sind damit in das SOS-Kinderdorf gefahren und haben uns das angeguckt. Das hat uns sehr gut gefallen, weil es den Kindern, die teilweise keine Eltern haben oder aus sehr schweren Krisengebieten kommen, dort gut geht. Da haben wir uns entschieden, dass wir das weitermachen möchten und haben angefangen, das sukzessive auszubauen.

 

 

Wir haben uns dann mehr an große Firmen gewandt, Spielzeug- und Bekleidungshersteller und das funktioniert. Wir sind noch nie mit leeren Händen angekommen. Wenn wir dort sind, fahren wir mit den Kindern auch immer eine kleine Runde Motorrad. Das finden die Kinder natürlich toll, das ist für die ein Highlight - die saßen noch nie auf einem Motorrad und dann dürfen sie auch noch mitfahren!

Welches war das erste SOS-Kinderdorf, das ihr besucht habt? In Rumänien?

Das erste, das wir besucht haben, müsste in Litauen gewesen sein. Wir waren aber auch in Rumänien. Wir schauen immer, dass wir immer zu einem anderen SOS-Kinderdorf fahren. Das wird natürlich zunehmend komplizierter, weil unsere Reiseziele ja immer weiter weg liegen. Wir möchten ja möglichst viele Länder bereisen. Aber ich denke schon, dass wir das noch eine ganze Zeit lang hin bekommen werden.

 

 

In welchen Ländern warst du schon?

44. Wenn man sich das auf der Weltkarte anschaut, ist das quasi komplett Europa. Mir fehlen noch so Kleinigkeiten wie San Marino, aber ich bin aktuell auch nicht bereit, nur wegen San Marino da runterzufahren. Das müsste ich mit irgendeiner anderen Reise verbinden. Aber ansonsten habe ich mehr oder weniger alles abgeklappert.

Das Konzept ist also: Wir planen eine Reise und suchen uns dann ein SOS-Kinderdorf, das auf dem Weg liegt.

Genau. Wenn das SOS-Kinderdorf jetzt nicht genau auf der Route liegt, dann fahren wir auch mal 200 oder 300 Kilometer 'Umweg'. Das ist ja für uns kein Umweg, weil wir ja dadurch trotzdem was sehen.

Das Reisen und der Besuch der Kinderdörfer, das gehört für mich beides zusammen. Das eine geht nicht ohne das andere. Dadurch, dass diese Einrichtungen in Europa sehr oft vertreten ist, ist es eigentlich problemlos möglich, da eines anzusteuern.

Dieses Jahr geht es nach Estland. Wie sieht es aus, habt ihr schon angefangen Spenden zu sammeln?

 Ja, ich sitze hier gerade in meinem Zimmer, an der Wand stapeln sich die Kartons von den Sachen, die wir gesammelt haben. Es war dieses Jahr erstaunlich viel, auch relativ viele neue Firmen. Dieses Jahr haben wir grob 2.000 E-Mails verschickt an Firmen, die passen könnten. Uns haben dieses Jahr zum Beispiel Viking Footwear, ein norwegischer Schuhhersteller, angeschrieben.

 

 

Die haben geschrieben, wir haben von eurem Projekt gehört, wir schicken euch zwei Kartons mit Kinderschuhen. Und das sind nicht irgendwelche Billig-Schuhe für fünf Euro, sondern da kostet ein Paar Schuhe vielleicht 80 Euro und die haben uns bestimmt 30 oder 40 Paar Schuhe geschickt.

Wenn man sich das durch den Kopf gehen lässt, das macht mich schon stolz, dass die da so ein Vertrauen in uns haben. Und dieses Jahr haben wir auch vermehrt wieder versucht Geldspenden zu bekommen. Bis jetzt waren es über 1.300 Euro, die wir gesammelt haben.

Wann geht das nächste Abenteuer los?

Los geht's am 5. Juli und dann fahren wir einmal um die Ostsee rum. Wir fahren hoch nach Dänemark, dann weiter nach Stockholm in Schweden und von dort mit der Fähre nach Tallinn in Estland.

Und wie lange plant ihr dafür?

Etwas mehr als zwei Wochen ungefähr. Das ist jetzt nicht die abenteuerlichste Tour, die wir da machen, weil das ja alles mehr oder weniger in Europa ist, aber ich freue mich trotzdem drauf. Jede Tour ist anders, es gibt immer was Neues zu sehen, neue Leute kennen zu lernen.

Worauf freust du dich auf der Reise am meisten?

Zum einen natürlich auf das Kinderdorf und dann einfach aus dem Alltag rauszukommen. Ich bin für mich -  ich und mein Motorrad - und dann beginnt das Abenteuer. Ich weiß nicht, was passieren wird. Es ist dieses Unvorhersehbare, das mich an dieser ganzen Motorradgeschichte so reizt.

Was mir auch viel Spaß macht: Du bist nicht im Auto, wo du vor Wind und Wetter geschützt bist und deinen Zufluchtsort hast. Du bist angreifbarer. Auch was die Straßenverhältnisse betrifft. Es ist eine Leidenschaft!

Natürlich gibt's immer zwei, drei Regentage auf so einer Tour, wo man sich denkt, wie gerne man jetzt am Hotelpool liegen würde. Aber nichtsdestotrotz, wenn man abends ankommt und sein Zelt aufschlägt, dann ist man schon stolz, dass man das gemacht hat und dann stellt sich auch eine gewisse Zufriedenheit ein.

Gibt es ein Ereignis der vergangenen Reisen, das dir besonders im Gedächtnis geblieben ist?

Jede Reise ist einzigartig. Alles was man da erlebt, wird man nie mehr so erleben. Also… Ich würde jetzt keinem empfehlen, mit dem Motorrad nach Algerien zu fahren.

Wir sind da eingereist, mit der Fähre angekommen und ab dem ersten Tag durften wir nur mit Polizeischutz oder Armee fahren. Jetzt kann man sich vorstellen, da hat es 35 Grad und dieses Polizei- beziehungsweise Armeegeleit ging immer so 20, 30 Kilometer.

Das heißt, in einer Ortschaften war eine Dienststelle für uns zuständig, die haben uns eingesammelt, mitgenommen, 30 Kilometer gefahren, dann grob eine Stunde warten, bis die Ablösung kam, also der nächste Ort, der dann für uns zuständig war. Und so zog sich das.

Bild: Matias Raasch

Wir hatten natürlich Motorradsachen an, kamen kaum vorwärts, wirklich was gesehen haben wir auch nicht, denn die haben uns ja die Route vorgegeben. Wir wollten weiter nach Tunesien, also sind wir mehr oder weniger den ganzen Tag Autobahn oder Schnellstraße Richtung Tunesien gefahren.

Und dann fängst du natürlich auch nicht an mit denen zu diskutieren, wenn die da ihr Sturmgewehr im Anschlag haben. Sie haben gesagt, sie machen das, um uns zu schützen, aber ich denke, da war auch ein bisschen Kontrolle dabei. Das war so eins meiner negativen Erlebnisse.

Bild: Matias Raasch

Und die schönste Erinnerung?

Eines der schönsten Erlebnisse war letztes Jahr im Oktober, da sind wir nach Georgien gefahren. Das war ein richtiges Abenteuer! Wir haben unter anderem das höchste, bewohnte Dorf Europas besucht. Da kommt man nur Off-Road hin, das sind echte Highlights.

Die letzte Ostertour führte Matias Raasch nach Georgien.
Im Oktober 2018 war Matias Raasch in Georgien unterwegs. | Bild: Matias Raasch

In Georgien geht es gerade aufwärts. Die versuchen gerade, sich etwas von Russland zu lösen und bekommen auch Gelder von der EU, weil sie auch in die EU wollen. In Georgien versuchen sie daher auch, mehr Touristen zu locken. Das heißt, dass dort aktuell überall gebaut wird, Straßen werden betoniert. Ich denke, noch zwei oder drei Jahre, dann ist dieses Abenteuer, es mit dem Motorrad da hoch in das Dorf zu schaffen, nicht mehr gegeben. 

Georgien ist noch ein sehr ursprüngliches Land. Es ist relativ sauber, weil die dort begriffen haben, dass wenn sie Touris haben wollen, dann können sie nicht überall Müllkippen haben. Und obwohl die Leute dort auf dem Land sehr arm sind, macht es nicht den Eindruck, dass sie unglücklich sind.

 

 

Man macht dort eine Pause, da kommt einer mit einer Kanne und bietet dir einen Tee an. Ich würde behaupten, wenn ich fragen würde, ob ich sein T-Shirt haben kann, das würde er mir auch noch geben. Und das sind eben genau diese Momente, wo du realisierst, was wir hier in Deutschland eigentlich haben.

Was sind die Pläne und Ziele für Travelbikers in den nächsten Jahren?  

Mein Hauptziel ist natürlich, dass ich das so weiter machen kann. Ich hab jetzt eine 8 Monate alte Tochter und da kann ich nicht mehr so wie früher mit 18 meine 30 Tage Urlaub im Jahr Motorrad fahren. Ich will und muss das jetzt eben etwas verteilen, damit ich auch für meine Familie da sein kann. Das primäre Ziel ist natürlich, dass irgendwie hin zu bekommen, dass ich das weitermachen kann.

Und dann gibt es natürlich Strecken oder Länder, die mich sehr reizen. Ich würde gerne in die Mongolei. Da ist aber aktuell das Hauptproblem, da auf eigene Achse hinzufahren. Das sind fast 10.000 Kilometer. Da müsste ich einen Monat freimachen und weg sein von der Familie. Da weiß ich noch nicht ganz, wie ich das umsetzen soll.

Und eines meiner großen Hauptziele ist irgendwann mal die Route of Bones, die "Knochenstraße" zu fahren. Die wurde von Zwangsarbeitern von Sibirien nach Magadan gebaut. Und sie heißt deshalb Knochenstraße, weil von allen, die bei dem Bau der Straße umgekommen sind, die Knochen in die Straße gelegt wurden.

Matias Raasch hat noch viele Ziele für seine Motorradtouren. | Bild: Matias Raasch

Die geht ziemlich lang in eine Richtung, wo dann halt nichts mehr ist. Da kommt ab und an mal ein Tanklaster, wo man Sprit bekommt, aber ansonsten ist da eigentlich gar nichts. Das ist halt ein extremes Abenteuer, bei dem man wirklich auf sich allein gestellt für zwei, drei Wochen. 

Es gibt auch noch andere Ziele, wie das Nordkap oder so. Aber zum Nordkap sag ich mir immer, zum Nordkap kann ich auch noch fahren, wenn ich 50 bin. Das ist asphaltiert, das ist schön kurvig, da holt man sich ein schönes Straßenmotorrad und tuckert da hoch (lacht).

 

Dieser Artikel wurde nachträglich bearbeitet.