Anne Picot

Fast vier Jahre lang war Günther Freisleben der Präsident des Polizeipräsidiums Karlsruhe. Im Dezember 2017 hat er aber sein Amt niedergelegt und ist in das 4.000 Kilometer entfernte Tel-Aviv gezogen. Er arbeitet nun in Israel als Leiter einer polizeilichen Mission der Europäischen Union (EU), die EU Border Assistance Mission for the Rafah Crossing Point (EUBAM Rafah). Im Nahen Osten ist die EU schon länger vertreten: Sie hat dort eine Delegation, eine Abteilung des Amtes für humanitäre Hilfe, ein Stellvertreter für den Friedensprozess - und viele weitere Helfer. Dadurch soll der Friedensprozess zwischen Israel und Palästina gefördert werden. 

Vor wenigen Tagen war Günther Freisleben in Karlsruhe, um sich von seinen ehemaligen Kollegen des Polizeipräsidiums zu verabschieden - später folgte auch die offizielle Verabschiedung im Schloss Ettlingen. Zuvor hat er sich mit ka-news über seinen Job im Krisengebiet unterhalten.  

Sie arbeiten jetzt als Leiter einer EU-Mission im Nahen Osten, die EUBAM Rafah. Was macht diese Mission?

Die EUBAM Rafah unterstützt die palästinensischen Behörden den Grenzübergang zwischen Ägypten und dem Gazastreifen zu öffnen und zu kontrollieren. Wir wollen sicherstellen, dass er regelmäßig geöffnet wird. Also helfen und trainieren wir die palästinensischen Zollfachkräfte und stellen ihnen Material zu Verfügung: Das sind zum Beispiel Scanner, Computer, Chemikalien für die Drogensuche... Alles was Beamte an einer Grenze brauchen. 

Wir bekommen die Genehmigung der Israelis und der Palästinenser, um arbeiten zu dürfen. Beide haben ein großes Interesse an unserer Mission. Für die palästinensische Autonomiebehörde ist es die Möglichkeit, ihre Macht zu demonstrieren. Und Israel dagegen erlaubt uns, die palästinensische Polizeikräfte zu verstärken, weil dank strengerer Kontrollen an der Grenze weniger Waffen nach Gaza rein kommen: Israel fühlt sich also sicherer.

Was sind Ihre Aufgaben als Leiter?

Es ist sehr viel Planungsarbeit, damit der Grenzübergang geregelt läuft. Ich muss auch viel Lobbyarbeit erledigen: Ich verhandle mit den Botschaften verschiedener Länder, mit der israelischen und mit der palästinensischen Regierung. Ich bin also ein Diplomat.

Günther Freisleben mit der palästinensischen Behörde
Günther Freisleben (r.) im Gespräch mit der palästinensischen Verwaltung von Grenzen und Grenzübergängen, um Trainings zu veranstalten. | Bild: EUBAM Rafah

Es nimmt viel Zeit in Anspruch, weil wir mit allen Parteien über viele spezifische Kleinigkeiten verhandeln müssen. Die israelische Regierung hatte zum Beispiel ein Problem damit, dass wir in Rafah Chemikalien einführen wollten, um Drogen aufzuspüren. Die Israelis haben befürchtet, dass diese Chemikalien für die Herstellung von Bomben verwendet werden: Wir sollten ihre eigenen Drogensuch-Kits benutzen. Neben solchen Streitigkeiten verhandele ich langfristigere und strategischere Themen: Alle Diskussionen dienen letztendlich dazu, Vertrauen zwischen den Parteien aufzubauen.

Mein Team und ich bereiten auch die Trainings für die palästinensischen Beamten vor. Ich habe selber Trainings geführt, aber meistens kümmern sich meine Kollegen darum. Sie sind Zollpolizeikräfte, die ihre Kenntnisse von den Grenzkontrollen mitbringen.

Wie sieht ein normaler Arbeitstag aus?

Ich wohne und arbeite in Tel-Aviv, wo wir unser Hauptsitz haben. Aber ich muss ständig reisen. Ich fahre ein mal pro Woche nach Jerusalem, um mich mit den anderen Vertretern der EU im Nahen Osten zu treffen.

Freisleben wohnt und arbeitet in Tel-Aviv. Der Rafah-Grenzübergang ist südlich des Gazastreifens.
Der Rafah-Grenzübergang ist südlich des Gazastreifens. In Jericho, Ramallah (in der Westbank) und Jerusalem ist Freisleben regelmäßig. | Bild: Google Maps

Ich muss auch öfters nach Ramallah fahren, weil dort die palästinensische Regierung sitzt. Und in Jericho - eine Stadt im palästinensischen Gebiet nah am Toten Meer - mache ich auch Besuche bei der palästinensischen Verwaltung von Grenzen und Grenzübergängen. Ich versuche auch, möglichst oft nach Gaza zu reisen: Dafür brauche ich aber eine Genehmigung der israelischen und der palästinensischen Behörden, es ist also nicht so einfach.

Ich arbeite im Vorbereitungsstab mit 16 Polizisten aus allen Ländern der EU. Einige Palästinenser sind auch im Team dabei. Für Gaza zuständig sind insgesamt 190 EU-Beamte. Unser Tagesablauf ist eigentlich sehr fremdbestimmt, durch die Termine mit verschiedenen Partnern. Ich arbeite 60, 70 Stunden pro Woche, so wie im Polizeipräsidium eigentlich. Aber es gehört dazu. Mit einem solchen Job muss ich auf eine bequeme und normale Arbeitswoche verzichten!

Was haben Sie bisher erreicht?

Wir haben es geschafft, den Rafah-Grenzübergang ein Monat lang während des Ramadans jeden Tag zu öffnen. Während dieser Zeit haben 45.000 Menschen die Grenze überschritten! Er war danach aus technischen Gründen wieder geschlossen, und ist nun ziemlich unregelmäßig auf. Aber zur Zeit ist der Check-Point etwa fünf Tage pro Woche in Betrieb.

Günther Freisleben besichtigt Gazastreifen
Günther Freisleben (2.v.l.) bei seinem Besuch in Rafah in Februar, mit palästinensischen Beamten. | Bild: EUBAM Rafah

Was sind die größten Schwierigkeiten in Ihrer Arbeit?

Im Nahen Osten legt keiner die Karten offen. Die palästinensische Regierung erläutert nicht ihre genauen Ziele, die israelische auch nicht. Bei den Verhandlungen weiß man also nicht genau, was die kritischen Punkte sind: Wo könnten die Parteien Kompromisse machen? Was muss unbedingt erhalten werden? Stattdessen bleiben die Diskussionen sehr oberflächlich.

Es herrscht zudem eine spezifische Mentalität: Man darf sein Gesicht auf keinen Fall verlieren. Wenn jemand etwas gesagt hat, sollte er damit später keine Kompromisse machen. Aber wenn man keine Kompromisse macht, wird in der Verhandlung nie etwas erreicht. 

Aus diesen Gründen geht alles sehr langsam, und es ist frustrierend. Im Gegensatz zu den Deutschen halten sich meine Partner im Nahen Osten nicht an vorgeplanten Fristen fest. Man geht zwei kleine Schritte nach vorne, einen Schritt zur Seite, vielleicht einen Schritt rückwärts. Aber das gehört dazu, man muss Geduld haben.

Freisleben vor dem City Park, kurz vor seiner Verabschiedung am Polizeipräsidium.
Freisleben vor dem City Park, kurz vor seiner Verabschiedung am Polizeipräsidium. | Bild: Anne Picot

Wie sind Sie dazu gekommen, vom Polizeipräsidenten in Karlsruhe zum Leiter einer EU-Mission zu werden?

Ich hatte schon mehrfach im Ausland gearbeitet. Ich habe damit 2001 angefangen, als ich Leiter der Außenstelle der Akademie der Polizei in Wertheim wurde. Da werden die Polizeikräfte für Auslandsmissionen vorbereitet. Aber ich wollte sie nicht leiten, ohne davor im Ausland gearbeitet zu haben. Ich habe mich also für eine polizeiliche Mission in Bosnien beworben, die die lokalen Polizeikräfte nach dem Krieg ausstatten sollte. Der Job hat mir ganz gut gefallen. Ich habe dann auch in Kosovo gearbeitet, und in Tansania. 

Um Leiter der EUBAM-Rafah zu werden hat mich die Bundesregierung beim Europäischen Auswärtigen Dienst vorgeschlagen. Nach dem Auswahlverfahren wurde ich als Leiter der Mission gewählt: Ich war darüber sehr froh. Vier Jahre im Karlsruher Polizeipräsidium haben mir gereicht. 

Wie lange bleiben Sie noch in Tel-Aviv?

Die Mission wird jedes Jahr verlängert: Israel und Palästina geben jedes mal wieder ihre Zustimmung. Ich bleibe also vorerst bis Ende Juni 2019 im Amt. Was danach kommt, weiß ich noch nicht!

Vermissen Sie etwas an Karlsruhe?

Ich vermisse die Lebensart in Karlsruhe. Die Staus in Tel-Aviv sind furchtbar, es ist eine der teuersten Städte der Welt, und die Leute sind sehr rüde auf der Straße oder in der Straßenbahn. Außerdem komme ich mit manchen Widersprüchen der israelischen Gesellschaft nicht klar: In Tel-Aviv gibt es beispielsweise ein arabisches Viertel, in dem Juden und Araber sehr friedlich und harmonisch miteinander leben, während es in Jerusalem jeden Abend zu Auseinandersetzungen kommt. Für mich gibt es dafür keine befriedigende Erklärung dafür, ich verstehe es einfach nicht. 

Aber andererseits ist Israel ein großer Melting-Pot, da das Land sich durch Einwanderung aus allen Teilen der Welt konstituiert hat. Tel-Aviv ist also komplett gemischt. Es gibt viele Franzosen, eine große russische Gemeinde, auch eine Amerikaner... Die Stadtteile haben alle ihre eigene Sprache. Und das ist schön.

 
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