Seit 1956 ist am Forschungszentrum Karlsruhe laut so genannter Zivilklausel die Militärforschung untersagt. Nach der Fusion mit der Universität Karlsruhe zum KIT wurde diese Klausel nicht ausgeweitet. Stattdessen herrscht seit dem 1. Oktober dieses Jahres eine gespaltene Klausel: Der Campus im Süden darf Rüstungsforschung betreiben, der Norden nicht. Was Dietrich Schulze, Beiratsmitglied der Naturwissenschaftler-Initiative "Verantwortung für Frieden und Zukunftsfähigkeit", schlicht als "Schizophrenie" bewertet, gründet vor allem auf den unterschiedlichen Trägern des Campus. Der Norden untersteht dem Bund, während für den Süden des Universitätscampus das Land als Träger fungiert. Dieses beruft sich in der Frage zur Militärforschung unter anderem auf die Freiheit von Forschung und Lehre.
Wie dies im alltäglichen Leben an der Uni zu bewerkstelligen sei, "weiss kein Mensch", so Schulze, denn schließlich würde auch "teamübergreifend" gearbeitet. "Für alle Großforschungsaufgaben gelte die alte Regelung", also die Zivilklausel; zum "Rest" wurde schlicht "nichts gesagt". Und das werde zu Streit führen, so Reiner Braun, Geschäftsführer der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler. Er will zum Protest ermutigen und "die Suppe weiter kochen, die unverdaulich ist".
Zur Zeit wird am KIT am so genannten "Software Defined und Cognitive Radio" geforscht. Doch das wird nicht das letzte Projekt in dieser Richtung bleiben, weiss Schulze. Das Nachrichtensystem soll im Kampffeld genutzt werden, damit gemeinsame Kampfeinsätze verschiedener Alliierter zukünftig noch reibungsloser verlaufen können.
Gefahren der Kopplung von Rüstungsforschung und öffentlichen Universitäten
Besonderes Ärgernis für die Studenten: Sie bekommen meist nicht gesagt, wenn ihre Arbeiten Teil eines Rüstungsprojekts bilden, so Nadja Brachmann, Mitglied des Unabhängigen Studierenden Ausschusses (UStA). Das heisst im Klartext: Der Student unterstützt eventuell unwissentlich die militärische Forschung. Möglich sei dies beispielsweise bei Arbeiten der Informations- oder Kommunikationstechnik. Diese fehlende Transparenz sei äußerst unwissenschaftlich, so wie die gesamte Rüstungsforschung überhaupt. Denn, statt wie an öffentlichen, staatlichen Universitäten üblich, werde durch die Rüstungsforschung dem Primat der Öffentlichkeit und Transparenz widersprochen. Stattdessen werde die Zielrichtung vieler Veranstaltungen versucht zu vertuschen. So gibt es zur Zeit für die Elektrotechniker am KIT eine Pflichtveranstaltung, die von den Studenten nur noch schmunzelnd "Wehrtechnik I und II" genannt werde. Dort seien dann auch "Raketenmodelle" keine Seltenheit, so Richard Marbach, Mitglied der Gewerkschaftlichen Studierendengruppe Karlsruhe.
Die Gefahr der Militarisierung öffentlichen Lebens und öffentlich geförderter Forschung wird durch Subrata Ghoshroy verdeutlicht. Ghoshroy ist 2005 aus der Rüstungsforschung ausgestiegen und arbeitet nun als Wissenschaftler am Massachusetts Institute of Technology (MIT). Am MIT befasst er sich unter anderem mit der nuklearen Abrüstung und der Verhinderung einer Weltraumbewaffnung. In Karlsruhe plädiert er nun vor allem für mehr Transparenz und unterstützt die Forderung der Übernahme der einheitlichen Zivilklausel. Dabei spielen seine Erfahrungen am MIT eine entscheidende Rolle. Motivation vieler Vorlesungen oder gar die Auftraggeber im Hintergrund seien am MIT schwer auszumachen, und die Höhe der fliessenden Gelder würde zum Teil sogar vertuscht. Doch die militärische Dominanz sei in amerikanischen Unis überall spürbar. Durch diese Beeinflussung geraten laut Ghoshroy zwangsläufig soziale Themen wie Hunger in der Welt, Krankheiten oder Armut in den Hintergrund; schließlich würden diese Themen kaum bezuschusst.
MIT Modell für KIT?
Das Problem sei generell nicht, dass zivile Zielsetzungen militärisch genutzt werden könnten, sondern dass Rüstungsthemen bevorzugt werden könnten, so Schulze. Wichtig sei deshalb, wer in den Entscheidungsgremien sitzt. Und daher fordert er Mitspracherecht für die Betroffenen, also für die Studenten und Angestellten am KIT. Erst im Januar sollen laut Schulze bei einer Abstimmung am KIT rund 63 Prozent der Befragten für eine einheitliche Zivilklausel, also gegen die Rüstungsforschung am KIT gestimmt haben. Abgestimmt hatten circa 20 Prozent der Studierenden und Angestellten, was keine schlechte Beteiligung für eine Umfrage an einer Hochschule sei. Doch trotz deren eindeutiger Aussagekraft habe die Landesregierung "davon keine Notiz" genommen, so Schulze.
Wichtig sei nach Braun doch die Frage "Was für Forschung brauchen wir?". Die "Verantwortung der Wissenschaft" bestünde doch primär den "realen Problemen der Welt" gegenüber und nicht "Krieg und der Zerstörung". Dafür Gelder und Knowhow zu investieren halte er für "sinnlos". Außerdem wehrt er sich gegen den Vergleich zwischen MIT und KIT. Denn Unterschiede gebe es trotz aller Gemeinsamkeiten: Anders als beim MIT werde die Uni Karlsruhe dankenswerterweise noch zu großen Teilen durch staatliche Mittel finanziert, so dass Bildung noch nicht zur Ware werde und auch nicht nur für die Elite zugänglich sei.