Gast

Die in der Ausstellung versammelten Diplomarbeiten eröffnen verschiedenste Perspektiven auf Themen, die nicht nur paradigmatisch für unsere heutige Zeit stehen, sondern auch von der spezifischen Zeit des Übergangs zeugen, die mit dem Diplom einhergeht. Sie umkreisen das Thema Erinnerung, indem sie kollektive Archive zum Leben erwecken, neue erschaffen und diejenigen sichtbar machen, die gesellschaftlich in Vergessenheit geraten. Sie richten ihren Blick auf kapitalistische Zeitstrukturen, indem sie popkulturelle Wiederholungsschleifen reproduzieren und soziale Beschleunigung kritisch hinterfragen.

Bild: Katja Anina Brosius

Sie setzen sich mit dem Thema Arbeit auseinander, indem sie sich in Selbstversuchen vom permanenten Druck des Outputs befreien, das emanzipatorische Potenzial kreativer Rastlosigkeit im häuslichen Raum untersuchen und Werkzeuge für kollaborative Zusammenarbeit entwickeln. Sie erforschen die Auswirkungen der Medien auf die Gesellschaft und das Individuum, indem sie in absurden Musiktheatern Formen der Teilhabe erproben, mithilfe fiktionaler Schlagerbands mediale Selbstinszenierungen unterlaufen, märchenhafte Welten jenseits der Digitalisierung entwerfen und in Porträts von Schauspieler*innen die Grenze zwischen Selbst und Rolle verwischen. Sie nähern sich Fragen nach Kontrolle und deren Verlust, indem sie Verbindungen zwischen Männlichkeitsbildern und Waffengewalt herstellen, das gesellschaftliche Bedürfnis nach Sicherheit ergründen und unbewusste Formen der Manipulation sichtbar machen. Und sie lenken den Fokus auf das Verhältnis von Mensch und Natur und die Rolle, die Wissenschaft und Technik darin einnehmen, indem sie Massentierhaltung sinnlich erfahrbar machen, assoziative Verbindungen zwischen Krähen und technischen Beobachtungsapparaten herstellen, Pflanzen die Theorien Bruno Latours vorlesen und mithilfe neuer Materialien, Produkte und Spiele sowie dem Gesang künstlich generierter Stimmen alternative Zukunftsvisionen entwerfen.

Bild: Kathi Rüll

Für die Ausstellung Perspektiven wurden die Diplomarbeiten modifiziert, dokumentiert, neu gedacht und fortgesetzt. Die durchlässige Ausstellungsarchitektur lässt sie für sich selbst sprechen und erlaubt es gleichzeitig, – je nach Position und Perspektive – Verbindungen zwischen ihnen herzustellen. Das begleitende Rahmenprogramm, welches u.A. Führungen mit dem Kurator*innenteam, Lesungen, Filmscreenings, Performances und Diskussionsrunden umfasst, und das parallel zur Ausstellung erscheinende Magazin ergänzen die ausgestellten Diplomarbeiten um zahlreiche weitere Perspektiven.

Bild: Marie Luise Stein

Doch nicht nur das, was die Diplomarbeiten zeigen, sondern auch, was in sie hineingesehen werden kann, ist eine Frage der Perspektive. Während die Werke einer Abschlussausstellung Außenstehenden oft als reiner Qualifikationsschritt, als Leistung zur Erlangung eines akademischen Grades erscheinen, stehen sie für die jungen Künstler*innen, Gestalter*innen und Wissenschaftler*innen selbst häufig noch für viel mehr. Als Ergebnisse umfangreicher Arbeitsprozesse, immer wieder verworfener und neu gedachter Ideen, kreisender Gedanken und rettender Gespräche, sind sie Zeugnisse des Zweifelns, des Ausprobierens und Kollaborierens sowie des Scheiterns und Gelingens. Als Schwelle zwischen Studium und Arbeitsleben sind sie untrennbar verbunden mit Abschieden, Erinnerungen, Neuorientierungen und Zukunftsplänen. In Form anonymer Sammlungen aus aufgenommenen Anekdoten, fotografierten Souvenirs, verworfenen Titeln, noch nicht abgehakten Punkten auf To-Do-Listen und Danksagungen sowie einer Gesprächsrunde zur Zeit vor, während und nach dem Diplom werden diese in der Ausstellung sichtbar und erlauben so einen Blick hinter die Oberfläche der fertiggestellten Diplomarbeiten und perfektionierten Lebensläufe.

Bild: Benjamin Breitkopf

Ausstellungsteam
Kuration: Kathi Rüll, Marie Luise Stein, Mona Altmann, Rebecca Zink, Tatjana Pfeiffer
Ausstellungsdesign: Marie Luise Stein
Text & Redaktion: Mona Altmann
Art Direction & Grafik: Kathi Rüll, Rebecca Zink, Tatjana Pfeiffer
Planung & Koordination Rahmenprogramm: Kathi Rül

Ausstellende Künstler*innen und Designer*innen
Adrian Dickhoff, Angelica Gut, Arno Schlipf, Benjamin Breitkopf, Bruno Jacoby, Christina Vinke, Felix Grünschloß, Heidi Herzig, Iden Sunyoung Kim, Johanna Schäfer, Kathi Rüll, Katja Anina Brosius, Lizzy Ellbrück, Manuel Sékou, Marie-Luise Stein, Max Zickenheiner, Moritz Appich, Nele Faust, Nina Overkott, Nino Alonso, Rebecca Zink, Tatjana Pfeiffer, Zaza Barisch

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