Was wäre, wenn Talente gar nicht rar, sondern in jedem Unternehmen zu finden wären? - Diese etwas provokante Frage lädt ein, das Thema Talent Management einmal neu zu denken. Als Talent gilt, wer aufgrund von Fähigkeiten, Leistungsbereitschaft und konkreten Chancen im Arbeitsumfeld vielversprechende Ergebnisse liefert - und dies unabhängig von Alter oder Status. Eine Definition, die die Aufmerksamkeit vor allem auf das Gestaltungsumfeld lenkt, das Unternehmen ihren Talenten bieten.
Talente finden, einsetzen und fördern heißt demnach vor allem, eine Umgebung zu schaffen, die das volle Potenzial von Fach- und Führungskräften zur Entfaltung bringt. Ein Beispiel aus der Beratungspraxis veranschaulicht, wie das gelingen kann.
Aus der Praxis:
Ein mittelständischer Familienbetrieb fertigt Maschinen für den in- und ausländischen Markt. Weltweit werden 2.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt, davon 1.200 am Stammsitz auf der Schwäbischen Alb. Bereits heute zeigt sich, dass es schwierig ist, Ingenieure und Facharbeiter in die ländlich geprägte Region zu locken.
In Interviews mit Führungskräften und Mitarbeitern verschiedener Funktionen des Betriebs erfuhren die Berater, dass zwischen den Bereichen Entwicklung, Produktion und Vertrieb ein ausgeprägtes "Silodenken" herrscht. Dies bringt negative Auswirkungen auf die Motivation der Talente mit sich. Während die Bereichsführungen um Bedeutung konkurrieren, fühlen die Nachwuchskräfte sich unterfordert und signalisieren eine hohe Wechselbereitschaft.
Silodenken und unterforderter Nachwuchs
In Abstimmung mit der Unternehmensführung wurde daraufhin gezielt in den Feldern Talentförderung, Führung und unmittelbarer Unternehmenserfolg interveniert. Die Maßnahmen umfassten beispielsweise:
- die Verständigung darüber, was Talente sind und woran man sie erkennt
- die Initiierung eines Talentförderprogramms
- die Verankerung eines modernen Führungsverständnisses durch Workshops; Trainings und Coachings auf allen Führungsebenen
- regelmäßige Mitarbeitergespräche, die Feedback auf beiden Seiten zulassen - sowohl zum Führungsverhalten als auch zur Zielerreichung
- ein Pilotprojekt zur Entwicklung einer neuen Maschine durch ein heterogenes Team.
Während die ersten vier Maßnahmen vor allem dazu dienen, das Talent Management als kontinuierliche Führungsaufgabe zu etablieren, zielt Maßnahme Nummer fünf darauf ab, Talenten einen - vom Tagesgeschäft unabhängigen - "Versuchsraum" zu geben. Hier können sie ihr gesamtes Kompetenzspektrum einbringen und unter besonderen Bedingungen an einer herausfordernden Aufgabe arbeiten. Wesentlich dabei ist: Jeder kann Teil des Projektes werden, auch ältere Mitarbeiter oder Quereinsteiger anderer Disziplinen.
Auf diese Art und Weise werden verborgene Potenziale entdeckt und Talente an das Unternehmen gebunden. Sie tragen so unmittelbar zur Steigerung der Innovationsfähigkeit bei.
Anziehend werden für neue Kräfte von außen
Ein weiterer Effekt ist die Erhöhung der Attraktivität für neue Kräfte von außen. Aktuelle Studien zeigen, dass Nachwuchskräfte bei der Wahl ihres Arbeitgebers zum einen individuelle Gestaltungs- und Entwicklungsmöglichkeiten, zum anderen die Unternehmenskultur und die Sinnhaftigkeit der Aufgabe und Rolle berücksichtigen. Viele Unternehmen - besonders im Mittelstand - bieten schon jetzt ein derartiges Umfeld oder arbeiten daran, dieses zu optimieren.
Doch nur wenige von ihnen verstehen es, dieses Kapital auf dem "Markt der Talente" auch einzusetzen. Immer noch versuchen 94 Prozent aller Unternehmen, ihre Attraktivität für Talente durch Geldanreize zu erhöhen. Um im Wettbewerb um die Talente erfolgreicher als der Mitbewerber zu sein, braucht es jedoch andere Differenzierungsmerkmale, die zu den Werten und Motivatoren der Kandidaten passen.
"Mitarbeiter verlassen nicht Unternehmen, sondern ihre Führungskräfte"
Der wirksamste Hebel ist daher die Entwicklung der Führungskultur. Denn "Mitarbeiter verlassen nicht Unternehmen, sondern ihre Führungskräfte", wie eine Gallup-Studie zeigt. Konkret gilt es, partnerschaftliche Arbeitsbeziehungen zu gestalten, die auf Geben und Nehmen basieren. Denn Führungskräfte haben Erwartungen an ihre Mitarbeiter, das gleiche gilt aber auch umgekehrt. Wird über diese Erwartungen klar kommuniziert und regelmäßig ein Abgleich des Erfüllungsgrades vorgenommen, profitieren alle Beteiligten.Zudem fühlen sich die Talente ernst genommen.
Ein weiterer wichtiger Effekt: Selbst wenn die Erwartungen nicht mehr zusammenpassen sollten, kann rechtzeitig nachgesteuert werden. Solange die Arbeitsbeziehung für beide Seiten sinnvoll ist, wachsen auch Identifikation und Engagement. Auf diese Art und Weise etabliert sich im Unternehmen eine Entrepreneur-Haltung, die Führungskräfte wie Talente zu Hochleistung motiviert.
Die Autorin:
Anke Loose, Diplom-Kauffrau, hat über 20 Jahre Erfahrung in der Begleitung von Veränderungsprozessen weltweit. Sie ist Partnerin des Beratungsunternehmens Loose, von Unruh & Partner in Karlsruhe mit den Schwerpunkten Führungskräfteentwicklung und Begleitung von Veränderungsprozessen.
Mehr lesen zu Leading Talents: www.leading-talents.com Dort befinden sich auch Links zu den zitierten Studien und weitere Materialien. Und in der Mediathek sind amüsante Videos zu sehen, wie man es nicht machen sollte.
Mehr Infos rund um das Thema Beratung:
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